Es ist selbstverständlich, dass der Unterricht selbst sprechen und schreiben beinhaltet, das Aneignen durch Anwendung. Dies erstreckt sich allerdings seltenst auf den grammatischen, abstrakten und etymologischen Teil der Sprache, wobei hier vollkommen neuartige Erkenntnisse und essentielle Perspektiven verborgen sind. Deswegen, il fallait dass die Ontogenese eines Menschen die Kreation einer oder mehrerer Sprachen beinhaltet.
Die Sprache der magischen Völker
Im Rahmen eines Romans den ein Freund und ich entwarfen, war der Gedanke aufgekommen die fiktionale Welt des Buches mit Sprachen zu bevölkern (u.a. auch einem Zahlensystem und einer Schrift und Ziffern für das Zahlensystem, was sicher ganz eigenen pädagogischen Wert hat). Der Hefter mit den entsprechenden Materialien enthält folgendes Vorwort:
"Die Sprache der magischen Völker (SMV) wird von den Elfen (E.) , Kobolden (K.), Zwergen (Zw.) und Drachen (D.) hauptsächlich gesprochen. Man muss sagen, dass es viele verschiedene Sprachen gibt, aber eigentlich können die meisten SMV. SMV ist ähnlich wie Englisch bei uns. Es gibt Angaben, dass Zentauren SMV können. Pysore und Tader sprechen eine eigene, primitivere Sprache. Dieser Hefter ist in Fünf Teile aufgeteilt: Teberon (Grammatik), Itêrin (Schrift), Eamon (Vokabeln), Nanre (Zahlen) und Neorninorul."
Wem das jetzt ein wenig kindlich vorkam sei gesagt, dass ich 9 Jahre alt war als ich mit der Kreation der SMV begann. Der Impetus, in erster Linie begründet in der Ausgestaltung unserer Romanwelt, war unter anderem geschürt durch die in mir brodelnde Enttäuschung über die Eigenheiten der deutschen Grammatik die so unsystematisch und redundant war, dass es notwendig schien etwas simpleres und einfacheres zu kreieren (das ist die romantische Erklärung, vielleicht bin ich schlicht als junges Kind noch nicht weit vom Prozess der overregularization entfernt gewesen, in der erlernte Regeln mit den Unregelmäßigkeiten der menschlichen Sprache in Konflikt treten, Marcus et al. 1996). Dieses Anliegen macht sich in der gesamten Sprachstruktur bemerkbar, die so systematisch wie mir möglich ist. Ich habe später den absolut systematisierenden Ansatz etwas abgeschwächt, allerdings hat die SMV in ihrer Ursprungsform jede Menge nützlicher Eigenschaften (u.a. dass der Unterricht in einem reinen Regel verstehen und keinem Ausnahme pauken bestehen würde, was für einen elfjährigen Lateinschüler paradiesische Zustände wären). Der Autor besitzt nicht den Nerv die Hundertschaft an Seiten Material zu sichten (oft inkohärent und oder unvollständig) deswegen hier eine Auswahl.
Teberon (Grammatik)
Zentraler Teil der SMV sind die fünf Vokale a, e, i, o, u. Sie sind so entscheidend, dass ich die Sprache als “pentagonale Sprache” bezeichnen würde. Ein Beispiel, die Verben (Scerne) enden im Präsens Singular immer auf e, zum Beispiel “are” (denken). Im Futur enden sie auf a, im progressiven Präsens auf i, im Präteritum auf o, und im Plusquamperfekt auf u. Die jeweilige Pluralform ist etwas unregelmäßiger.
Es gibt außer den fünf Standard Tempi 25 “gemischte Tempusformen”. Diese werden dann wie folgt gebildet:
Für are (denken):
ara und are -> arae “Ich werde in der Zukunft regelmäßig denken”
oder
are und ari -> arei “Ich denke regelmäßig (bin ein denkender Mensch) und denke gerade”
in einem umgekehrten Fall
are+ara -> area “Ich denke regelmäßig”
Die Personalpronomen
an Ich
en Du
in Er, Sie, Es
na Wir
ne Ihr
ni Sie
on - man
un - Höflichkeitsform
Nomen
Sind modular. Der Kontinent der Drachen Elurion etwa besteht eigentlich aus 3 Einheiten, e einer negativierende vorsilbe (ähnlich a im Griechischen) lur (Ozean) und ion (sehr groß), ein schwaches Adjektiv. Die Sprache der magischen Völker als artifizielle lingua franca ist hier wiederum von einem biologisch-evolutionärem Einschlag geprägt, von Etymologie per Synästhesie oder schlichter Übernahme aus real existierenden Sprachen.
Auch wäre denkbar, und so auch ursprünglich angedacht, dass man die ‘Pentagonalität’ der SMV nutzt um ein in 5 Kategorien, etwa a - Geistiges durch entsprechende Konsonanten Kombinationen ein einigermaßen systematisiertes Vokabular zu schaffen.
Plural von Nomen
Wie man vielleicht schon erahnen kann ist auch der Plural vollkommen regelbasiert (später abgemildert). Fast alle Nomen im Singular enden auf das Schema Vokal+Konsonant, etwa aran (Gedanke). Im Plural wechseln Konsonant und Vokal, und der Vokal verschiebt sich entsprechend der Abfolge, also arne (Gedanken). Allerdings werden manchmal alle Vokale und dezidiert jedes u zu einem “i”, und Konsonanten werden “weicher” entsprechend Teweron-Tabelle, z.B. Acan (Waffe) - Agni. Einsilbige pluralisieren so: dan (Mann) - daen
Adjektive
Sind entweder schwach und werden an das Wort angehängt, z.B. aer (alt) oder ion (sehr groß) und sind meistens Teil von Eigennamen, z.B. die Neanari (die alten Bäume) oder stark, d.h. frei stehend.
Sprache und Axiomatik
Eine Idee, die sich seit dieser Zeit gehalten hat, ist die Wichtigkeit von Präzision und Axiomatik im Sprachaufbau. Die gleiche Flexibilität der menschlichen Sprache ermöglicht die ästhetische Freude eines Goethes oder Keats, ist ermöglicht aber auch die Quacksalberei des deutschen Standardintellektuellen, zB Joseph Vogel (gerade im Deutschen gilt oftmals leider Form > Inhalt, vielleicht Schuld an dem nie überkommenen erstickendem Staub des Idealismus). Natürlich ist wenn man in Richtung Wittgenstein denkt eine wahre Abbildung der Realität durch Sprache nie möglich, das ist allerdings kein Grund die transzendentale Idee nicht anzustreben (wenn man nicht vorher einschläft schlummert in der KdV durchaus Wertvolles).
Gründe
Wie oben erwähnt ist Sprachkreation sowieso schon ein axiomatisches Il faut.
Wem das nicht ausreicht, dem sei angedacht einmal ein Referat über einen Hegel zu besuchen und danach einmal das Publikum nach der Aufschlüsselung der erwähnten Begriffe fragen.
Die Korrelation zwischen der Größe und Anzahl der Meinungen wird zu groß sein, um primo Ausgaben für Philosophieprofessuren und secondo die Nichtexistenz einer universellen, die Begriffe des deutschen Idealismus einfangenden und zergliedernden Sprache zu begründen. Um diesen selbstreferentiellen Schwurbelsatz zu präzisieren: Man benötigt eine Sprache mit klar definierten Begriffen (und klar definiert heißt in der transzendentalen Idee “axiomatisch”) um einen Diskurs zu schaffen bei sich auch beide Seiten über den Inhalt einig sind (s/o Habermas, allerdings Luhmann>Habermas, sorry). Man benötigt eine modular-systematische Sprache um die komplexen Begrifflichkeiten der Gesamtheit der menschlichen Kultur herunterzubrechen und nach Gold, das heißt nicht mehr Zergliederbarem und tatsächlich Neuem durchforsten zu können (weniger Zeitaufwand und Zusammenführung gleicher Ideestrukturen). Natürlich würde hier auch Komplexität und stabilisierende Redundanz verloren gehen, aber jeder der nach Antworten auf große Fragen zu seinen Lebzeiten hofft, sollte dieser trade-off als gerecht vorkommen.
Und dann der Elefant im Raum, der mich mit den betröpelten Augen einer unverstanden Intelligenz anschaut, die Nutzung von und Kommunikation mit künstlicher Intelligenz. Um neuronale Netze um die Kunst der Deduktion und Induktion, Kausalität und den common sense zu erweitern, il faut, dass sich die Phylogenese selbst klar wird was sie meint wenn sie mit sich kommuniziert, es braucht also einer axiomatischen, modularen, systematischen Sprache.
Man mag jetzt einwenden dass sich es doch durchaus schon die Syllogismen der Logiker und Programmiersprachen und diverse Codes gibt, dass es doch ausreicht diese zu erweitern, dass deren teilweise hohe Effizienz sich gut eignet um mit KI zu kommunizieren oder dass der kybernetische bzw. expertensystematische Ansatz ein grundsätzlich hoffnungsloser bzw. unterlegener ist.
Das Problem ist hier, unter anderem, die große Lücke zwischen menschlichem Geist und Kommunikation und logischen Operationen sowie die Lücke zwischen dem sich abzeichnenden maschinellen Geist. Man sollte sich hier in der aristotelischen Mitte treffen, die Redundanzen von Jahrtausenden Sprach- und Kulturentwicklung abstreift und sich eine gewaltige Zeitersparnis leistet, aber dennoch die Zugänglichkeit und andere apophatische Eigenschaften der menschlichen und allgemein durch Evolutionsprozesse entstandenen Kommunikation erhält.
Es zeichnet sich immer mehr ab, dass wir Intelligenzen schaffen werden, die sich Sprache im allgemeinsten Sinne in einem evolutionär, selbstlernenden Prozess sich aneignen und die Kommunikation von Konzepten wie Kausalität und reasoning ermöglichen bevor wir eine KI “hardcoden” können. Dementsprechend wäre eine Kommunikation bzw Oktroyierung auf einer entsprechend tiefen, präzisen “expertensystemischen” Ebene vermutlich sowieso nicht möglich.
Stattdessen also einfach menschliche Sprache verwenden? Ich bezweifle gar nicht, dass es an einem Punkt möglich sein kann eine Turing-getestete KI als Gesprächspartner zu haben. Das heißt allerdings primo nicht dass es nicht effizientere, d.h. schellere Wege gäbe, (frei(er) von kulturen Spandrillen, wobei es natürlich schwierig ist “objektive” Spandrillen festzustellen, Chomsky etwa postulierte Sprache selbst als Spandrille, eine Anpassung an die unendliche unendliche Komplexität von Kommunikation) und secondo, dass diese KI überhaupt mit Kausalität und Konzepten der menschlichen Natur etwas anfangen kann bzw. wir etwas mit den Formulierungen der KI etwas anfangen können, was im Kern immer doch das Ziel sein sollte. Bis jetzt war die Forschung nach KI in der Praxis immer hauptsächlich anwendungsgetrieben, und wenn man diesen Trend fortsetzt wird es möglicherweise schwierig werden eine AGI im genannten Sinne zu kreieren, wenn man nicht vorher den David menschlicher Kultur aus seinem Spandrillengewand schlägt. Dieser Halbsatz ist wieder ein selbstreferentieller Ausdruck der Kernthese: Eine künstliche Intelligenz muss, um diesen Satz verstehen zu können ein Konzept von Metaphern haben, muss das, vermutlich fälschlicherweise zugewiese Zitat Michelangelos zu seinem David kennen, das Konzept von Spandrillen verstehen, wobei ein hochintelligentes System vermutlich sich den Begriff schon erschließen konnte (ungünstiger Weise sind hapax legomena recht häufig bei komplexen Texten vorzufinden) und die Unschärfe der Wortwahl (Gewand statt Steinklotz).
Dieses artifizielle Beispiel bleibt aber nur die Spitze des Eisbergs; sämtliche Irregularitäten, Ineffizienzen, kontextfrei (Kontext meint hier eine humanoide Spezies die sich in drei Dimensionen bewegt, grob fünf Arten von Dateninputs verarbeitet…) nicht verständliche Eigenschaften der menschlichen Sprache behindern und verlangsamen den Prozess der Schaffung einer KI mit common sense und Kommunikation mit derselben.
Ein radikales Umdenken in der Kodifizierung von Daten welches Effizienz als neues Paradigma einführt (und andere Qualitäten in den Hintergrund treten, z.B. Redundanz und direkte, d.h. ohne Lernleistung gegebene Anschaulichkeit) ist in der Tat nicht ohne Präzedenz. Es ist spekuliert worden (Bernstein 1996), dass die Griechen der Antike die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, Integral und Differenzialrechnung oder sogar Algebra aufgrund ihres “unpraktischen” Zahlensystems nicht entdeckten. “The algebraic-analytic method in mensuration and geometry was well within the capacity of the greek mathematicians and they could have developed it with any degree of logical rigor they desire. Had they done so, Apollonius would have been Descartes, and Archimedes Newton.” (Dantzig 1930/2005)
Mein zentrales Argument ist, dass wir die griechischen Mathematiker sind. Der Clou der Hindu-Arabischen Zahlen liegt darin globale Struktur mit Bedeutung zu verknüpfen. Wenn wir es angehen könnten, die Umgangssprache, oder zumindest erst einmal die philosophische Fachsprache zu systematisieren wäre damit viel gewonnen.
Addendum
Natürlich ist die Geschichte nicht frei von solcher Kühnheit, und wenn man sich die prominentesten Beispiele evoziert, vielleicht Esperanto und Ivrit, dann fällt auf, dass es keine leichte, vielleicht eine unmögliche Aufgabe ist, der kulturellen Evolution ein so lautes Schnäppchen zu schlagen.
Vielleicht ist dieser Text, wie die meisten Dinge, eher eine post hoc Begründung meines Verhaltens. Das formulierte Anliegen ist möglicherweise für sehr spezielle Personen und Situation von Nutzen, und vermutlich nicht in den nächsten Dekaden. Ich werde für mich dieses Programm dennoch fortspinnen, da es funktioniert und für geistige Klarheit sorgt. Was meine ich? Zu oft sind unsere Begrifflichkeiten redundant. In der heutigen Philosophie ist vielleicht 95% dunkle Materie. Zumindest ist das mein Eindruck. Zu oft wird erzählt von Denksystemen mit ihren Begriffen, die zusammen kollabieren auf der höheren Abstraktionsebene, isomorph sind. Besser lässt sich das alles durch die Historie aufschlüsseln, warum eben genau ein Gedanke damals auf fruchtbaren Boden stieß, und nun in das philosophische Vokabular aufgenommen ist, trotz sauberer Äquivalente.
Nun, ich verfolge immer noch das damals wortlos formulierte Ziel meines 9-jährigen Ichs Sprache zu reduzieren, zu formalisieren,
Febr. 2017
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