Ausgangssituation
Am 23.06.16 findet in der Thomasschule zu Leipzig das alljährliche Schulfest statt. Das Ganze ist eine von den Schülern organisierte Veranstaltung, die sich aus verschieden Ständen mit z.B. Schminkangeboten und einer Hauptbühne zusammensetzt. Auf der Hauptbühne findet meist ein einfach aufgebautes, unterhaltendes Programm statt, das häufig mit den Schulautoritäten spielt, aber nie die unsichtbare Grenze zur aktiven Kritik überschreitet. Jedes Jahr beherrscht ein vorher festgelegtes Thema das Fest, 2016 ist es das Motto “Märchen”.
Aktion
An einem per sozialen Netzwerken verbreiteten Zeitpunkt soll der gewohnte Verlauf des Festes radikal unterbrochen werden. Sämtliche Schüler die die verbreitete Nachricht gelesen und für sich angenommen haben, setzen sich hin und erstarren. Dies ist der mit “Freeze” beschriebene Teil der Aktion. Sobald sich die Gemeinschaft der Schüler gesetzt hat, von der Anziehungskraft eines gemeinsamen vollzogenen Aktes lassen sich hoffentlich einige Schüler mehr zum Hinsetzen begeistern, treten drei Gruppen in der Mitte des Hofes Hillerstraße auf. Ein mit Mikrofon ausgestatteter Moderator führt die Leute in die bevorstehende Aufführung ein. Zwei Gruppen, die eine weiß, die andere schwarz bekleidet, sind sich näher, die andere wahrt Distanz. Große Schilder weisen die weiße Gruppe als Schafe, die schwarze Gruppe als Wölfe aus. Der Vormann der Schafe und Wölfe ist jeweils mit passender Maske und Fell ausgerüstet. Einige Wölfe sind mit Doktorhüten ausstaffiert, andere mit Zylindern oder auch Richterperücken. Einzelne Schafe schmücken sich mit Caps, andere haben Kopfhörer in ihren Ohren. Die Wölfe beginnen nun mittels Armbewegungen die Schafe auszupeitschen, dieselben ächzen unter einer unsichtbaren Last. Ein Schaf löst sich von der Menge und ruft: ”Warum mühen wir uns so sinnlos, schleppen eure Steine, und sehen doch nichts von dem prächtigen Turm der uns versprochen ward? Warum gehen wir immer den gleichen Weg, wo das Gras gelb und der Boden karg ist, und nicht den Weg über die sinnliche Aue, die nah scheint und doch fern ist?”, der Vormann der Wölfe antwortet: “Vergesst niemals, ihr treuen und klugen Lämmlein, “Homo homini lupus”. Nur eure vereinigte, zielstrebige Arbeit in einer vereinten, zielstrebigen Gemeinschaft, mag sie hart sein und über ausgetretene Pfade führen, macht euch zu Menschen. Ein Abkommen vom Weg, ist es nur ein unbedachtes Wort gegen einen Vorgesetzten, führt zum Wolfsein, zum rohesten Zerfleischen. Und wisset, auch wir dienen nur dem höheren Ding, das uns lenkt und Sinn gibt. Es mag das der Gott oder die Firma sein, unser Leben verläuft in dem Schatten der hohen Institution” Das Schaf antwortet, zitternd und unter den Schlägen und Kniffen der anderen Schafe: “Verzeiht, mein Geist ist torkelnd von all dem Vergnügen das mir das Schafesleben bereitet. Der Sisyphos ist doch der glücklichste, der Prometheus der schändlichste unter den Griechen.” Ein anderes Schaf spricht: “Unser Bruder ist ein schwarzes Schaf unter uns rechtschaffenden Leuten. Nie waren wir zufriedener als unter der Herrschaft der Wölfe. Wir haben ausgleichende Tage in der Woche, die völlig frei von Arbeit sind. Wir sind glücklich durch das grüne, benebelnde Gras das uns die Wölfe gaben und durch die schöne Landschaft, die uns stets neues zum Begeistern bringt.” Die Menschen treten nun auf, sie lesen in Reclamheften und sind sehr verschieden und auffällig gekleidet. Der Vormann der Menschen sagt: ”Wir kommen mit einer gewaltigen Botschaft zu euch: Schafe und Wölfe können sich vereinigen im Mensch, können sich verwandeln in den Menschen und können ein erfülltes Leben führen als Individuum mit eigenen Vorstellungen, eigener Meinung und eigenem Willen. Der Weg dahin heißt “Sapere aude”, denkt selbst und seid kritisch. Ihr Schafe müsst nicht länger stetig den gleichen Pfad abgrasen, sondern könnt ausbrechen und tun was euch beliebt. Ihr Wölfe könnt die höhere Autorität abstreifen, die euch lenkt.” Der Vormann der Wölfe antwortet: “Was ihr sagt ist Gotteslästerung, Majestätsbeleidigung, Verrat am Vaterland, und am schlimmsten ist diese Art mit der ihr sprecht, mit dieser Selbstüberzeugung, diesem Glauben. Wir hassen euch und werden euch zu Fall bringen, das sei euch gewiss.” Ein Schaf sagt: “In uns brennt Sehnsucht nach der Erfüllung eurer Worte. Aber tief in uns schlummert das Wissen, dass nie einer von uns dem Gras der Wölfe und Trott der Tage trotzen wird. So werden wir Schafe zu Hunden, und wir werden uns verbeißen in euren Waden bis ihr stürzt.” Die Wölfe und die Schafe vereinigen sich und gehen auf die Menschen los, mit Mistgabeln deuten sie das Verprügeln der Menschen an, die am Boden liegen und versuchen sich mit ihren Reclamheften zu schützen.
Die gesamte Aktion dauert circa 5 Minuten in denen das gesamte Schulleben eingefroren sein und die Gemeinschaft zum Nachdenken angeregt werden soll, daher der zweite Teil des Namens “think”. Auf dem Schulhof werden Flugblätter mit dem folgenden Inhalt verteilt:
Freeze and Think
- eine Aktion für selbstständiges Denken und gegen bloßes Funktionieren
WICHTIG! Der vorliegende Zettel ist nur ein kleiner Ausschnitt der Gedanken, die hinter unserem Smartmob stecken. Wenn ihr unsere gesamten Kritikpunkte verstehen wollt, geht auf https://freezenthink.jimdo.com/.
Die “Freeze and Think” Aktion ist ein außerschulischer Beitrag zum Schulfest der Thomasschule zu Leipzig am 21.06.2016. Wir (ein Team der 10. Klassen) haben eine Aufführung (Die Parabel vom wahren Märchen) vorbereitet, die kritisch unser Schulsystem hinterfragen soll.
Der Moment des Platznehmens ist wichtig um uns selbst bewusst zu machen, welche Rechte und welche Macht die Schüler genießen. Wir haben eine Stimme und wir wissen auch sie zu gebrauchen! Unser Theaterstück besteht aus 3 Gruppen, den Schafen, den Wölfen und den Menschen.
Schaf1: “Warum mühen wir uns so sinnlos, schleppen eure Steine, und sehen doch nichts von dem prächtigen Turm der uns versprochen ward?”
Vielleicht kennt ihr dieses Gefühl, extrem unzufrieden zu sein. Das Schaf symbolisiert denjenigen, der unzufrieden ist, aber nichts tut und vor dem Wolf kuscht, der es zurechtweist. Das Schaf ist der Schüler.
Wolf: “Ein Abkommen vom Weg, ist es nur ein unbedachtes Wort gegen einen Vorgesetzten, führt zum Wolfsein, zum rohesten Zerfleischen. Und wisset, auch wir dienen nur dem höheren Ding, das uns lenkt und Sinn gibt.”
Der Wolf ist der Lehrer, der dem Schüler seinen Platz zuweist.
Die Repressionen gegen kritische Schüler sind vielleicht nicht ganz heftig wie der Wolf sie formuliert, Fakt ist jedoch, Kritik obwohl wünschenswert, wird in der Schule kaum gefördert und ist nicht gern gesehen. Mit dem höheren Ding meint der Wolf den Staat und weist damit auf seine untergeordnete Rolle als kleines Rädchen im Getriebe hin.
Schaf1: “Verzeiht, mein Geist ist torkelnd von all dem Vergnügen das mir das Schafesleben bereitet. Der Sisyphos ist doch der glücklichste, der Prometheus der schändlichste unter den Griechen.”
Das Schaf macht nun den schon vorprogrammierten Rückzieher und weißt auf zwei griechische Sagengestalten hin. Wenn ihr die genaue Deutung haben wollt, dann besucht wie erwähnt https://freezenthink.jimdo.com/.
Schaf2: “Unser Bruder ist ein schwarzes Schaf unter uns rechtschaffenden Leuten. Nie waren wir zufriedener als unter der Herrschaft der Wölfe. Wir haben ausgleichende Tage in der Woche, die völlig frei von Arbeit sind.”
Nun entstehen mit dem zweiten Schaf gruppendynamische Prozesse. Sicherlich kennt ihr das Gefühl mit eurer Meinung nicht alleine stehen zu wollen. Das andere Schaf distanziert sich vom ersten, und lässt es so weiter verstummen. Wenn jemand in seiner kritischen Meinung nicht gestützt wird, verliert er schnell das Interesse daran sie kund zu tun und eine wertvolle Stimme geht uns verloren.
Deshalb unsere Forderung: Kreative Außenseiter in ihrem Anderssein unterstützen und differenzierte Meinungsbildung als Ideal zu postulieren.
Mensch: “Wir kommen mit einer gewaltigen Botschaft zu euch: Schafe und Wölfe können sich vereinigen im Mensch, können sich verwandeln in den Menschen und können ein erfülltes Leben führen als Individuum mit eigenen Vorstellungen, eigener Meinung und eigenem Willen. Der Weg dahin heißt -Sapere aude-, denkt selbst und seid kritisch. Ihr Schafe müsst nicht länger stetig den gleichen Pfad abgrasen, sondern könnt ausbrechen und tun was euch beliebt. Ihr Wölfe könnt die höhere Autorität abstreifen, die euch lenkt.”
Der Mensch ist der kritische, selbstdenkende und autonomere Schüler. Er sagt, die Konflikte zwischen Schaf und Wolf können aufgehoben werden und es könne eine Synthese stattfinden zwischen den Interressen der Lehrerschaft und der Schülerschaft.
Das Kant-Zitat “Sapere aude” verdeutlicht noch einmal, wie wichtig Selbstdenken und das Befreien aus der Unmündigkeit für eine ideale Schulkonzeption wäre. Mit dem Abgrasen des immergleichen Pfades meint er das eingleisige Denken mancher Schüler von einer Institution zur nächsten zu springen und nicht dem eigenen Glück, der eigenen Eudaimonie zu folgen. Der Wolf bzw. Lehrer soll den eigenen Job hinterfragen und für eine Besserung des Schulklimas und zunehmende Autonomie für den einzelnen Absolventen soll vom strikten Einwirken eines Staates abgesehen werden.
Deshalb unsere Forderung: 1. Alternativen zum strikten Schulweg schaffen und dem Schüler bewusst machen. 2. Schulen freier gestalten, Selbstständigkeit des Lernens fördern.
Aus der Parabel erschließt sich das Problem der fehlenden Kommunikation von Schaf und Wolf. Vielleicht brauchen wir nicht den “Radikalinski” wie ihn die Springerpresse einst bezeichnete, sondern können einen produktiven Konsens herstellen indem wir den Schüler mittels gesondertem schulischem Angebot in seiner Individuation sich frei entfalten lassen und ihm Raum zur Meinungsäußerung bieten.
Deshalb unsere Forderung: Austauschmöglichkeiten bieten, Diskurs herstellen um die Probleme und Verbesserungsvorschläge innerhalb der Schule zu diskutieren und den Schüler zu integrieren, der andersfalls als Schulverweigerer in der Psychiatrie landet.
Eine Möglichkeit wäre es, ein Unterrichtsfach reinweg für die Äußerung der eigenen Meinung einzuführen. Da Meinungsbildung sowieso ein Kernelement der Schule sein sollte und teilweise auch ist, wäre dies eine sinnvolle Fortführung. Weitergehend sollen aus gewonnenen Erkenntnissen pragmatische Ergebnisse folgen. Schüler sollen, da sie selbst die besten Probiersteine für Funktionalität der Schule sind, selbst Konzepte für die Verbesserung oder Umgestaltung der Schule vorlegen. Diese Erstarrung einer so wichtigen Instanz ist innerhalb einer modernen, sich selbst stetig revolutionierenden Gesellschaft ist nicht zu akzeptieren.
Leo Hennig 21.06.16
Interpretation und Kritik
Die vorliegende künstlerische Auseinandersetzung muss als ein Ganzes gewertet werden. Das Hinsetzen ist nicht von der Vorführung der Parabel zu trennen, gibt sie doch erst den kritischen Sinn hinzu.
Der “Freeze” Moment ist das Aufmachen der Möglichkeit des anderen Zustandes, des Schulstopps oder die Unterbrechung des Alltags der dem eifrigen Schüler als eine sehr ferne Situation erscheint. Hier ist der erste Kritikpunkt zu finden, die allgemeine Denkart (Wobei hier keine Stereotypisierung stattfinden soll, sondern die Schule als Geburtsort der Denkensweise kritisiert wird) des Schülers der den strikten Schulalltag als einzige, unangreifbare Konstante in seinem Leben versteht. Alternativen sind durch die Beschaffenheit des Systems nicht gegeben. Hier hat das ganze Aufrüttelungseffekt. Gleichzeitig soll das eigene Vermögen und die eigene Stimme herausgestellt werden, es soll in Erinnerung gerufen werden, wer die Schülerschaft ist und welche Position auch der nicht ausgewachsene Bürger innerhalb einer demokratischen Gesellschaft einnimmt, nämlich der eines “Zoon politikon” im modernen Zeitalter, einer selbstbestimmten, sich kritisch äußernden Person.
Der Auftritt der 3 Gruppen lässt verschiedene Interpretationsansätze entstehen. Zunächst soll der allgemein gesellschaftliche und dann der schulische Ansatz bearbeitet werden.
Gesellschaftlich-Ethisch
Die Gruppe der Wölfe ist durch ihre Kopfbedeckungen klar als sozial starke und führende Gruppe zu erkennen. Tatsächlich verkörpern sie unsere Führungspositionen, die Politiker, die Reichen, die Universitätsdirektoren und die Juristen. Klar ist, eine künstlerische Auseinandersetzung dieser Art verlangt starke Verallgemeinerungen, die parabolische Darstellung kommt nicht ohne sie aus. Man kann den Wolf auch als Alphatier betrachten, als Rudelführer, der den Untergeordneten ihren Platz zuweist. Er ist dem Schaf komplementär gegenübergestellt. Das Scharz-Weiß der zwei Gruppen symbolisiert gleichzeitig die Radikalität zwei Pole der Gesellschaft (Vergleichbar Schwarz-Weiß-Denken). Die weiße Gruppe der Schafe indes ist eine Ansammlung der angepassten und beherrschten Mitglieder der Gesellschaft. Sie schließt sowohl die Verlierer des Kapitalismus, als auch den stetig konformen, ein Leben lang unreflektierten Bürger mit ein. Schaf und Wolf gehen eine, oberflächlich betrachtet, gewinnbringende Symbiose ein.
Sowohl Schaf, als auch Wolf berufen sich auf eine höhere Instanz, die unantastbar ist (vgl.:”Es mag das der Gott oder die Firma sein, unser Leben verläuft in dem Schatten der hohen Institution”). Sie dienen diesem geistigen Konstrukt und sind so stetig unfrei. Es ergibt sich eine hierarchische Pyramide, mit der Instanz an der obersten, den Schafen an der untersten Position.
Die Herauslösung aus der Gruppe bezeichnet den Prozess der Individualisierung und Individuation, denn in der letzteren macht der Mensch Umbrüche im Denken durch, die den kritischen Gedankengang fördern.
Das nun frei stehende Individuum kann nicht mehr auf den Rückhalt seiner Gruppe hoffen, dies verbietet der strenge Konformitätszwang innerhalb der Schafe. Die Worte, die es äußert, lassen sich wie folgt deuten: Der soziale Verlierer ist eine stetig murrende Person, er klagt den anderen Schafen sein Leid, aber nie dem Herrscher. Diesen Zustand hat der Ausreißer bereits überwunden. Er hat die Courage, sich dem Wolf gegenüber zu behaupten. Zudem hat er schon eine höhere Stufe der Erkenntnis erreicht als seine Mitstreiter indem er das Umland, d.h. die Utopie, betrachtet und als Möglichkeit erkannt hat. Die nun folgende Antwort bremst den vom Schaf geäußerten Impetus völlig aus. Der Wolf zitiert nun Hobbes, der seinerseits Plautus zitiert. Hobbes als dogmatischer Staatstheoretiker erklärt den Staat als ein notwendiges Mittel, das den Menschen vor dem Barbarentum schützt (Wobei das hier benutzte Zitat nicht in der Ursprungsbedeutung beschrieben ist, sondern dem später häufiger verwendeten Kontext des Menschen als sich gegenseitig zerfleischendes Wesen).
Dass der Wolf zum Schaf sagt, dass es ein Wolf sei, ist ein zentrales Paradoxon. Es beschreibt die Illusion des Schafes anders zu sein als es tatsächlich ist. Dieser Umstand ist eines der größten Gründe für den schlafenden Bürger.
Im nächsten Satz wird noch einmal die Gemeinsamkeit von Schaf und Wolf deutlich, sie beide sind in ihren Aktionen durch eine höher gestellte Wesenheit beschränkt. Diese kann sich in Form von Gott, von Tradition oder von Angst materialisieren oder allgemein als abstrakte Barriere im Denken auftreten, die einem Geist Orientierung und Umorientierung auf höherer Ebene verbietet. Tatsächlich darf man den Herrschenden, den Erfolgreichen nicht mit dem Freien und Glücklichen verwechseln. Die Schläge und Kniffe die das Schaf über sich ergehen lassen muss, sind in den Augen der Schafe die gerechte Strafe für das Abkommen vom gewohnten Weg, sie symbolisieren den Tribut, den man zahlen muss, wenn man seine Meinung voll und ganz vertreten will. Nun zieht das Schaf seine Forderungen zurück und geht so ganz in der Rolle des zwar jammernden, aber nicht handelnden Subjekts auf. Es ist ein determinierter Vorgang aufgrund der Paralyse des Schafes, die dem Unterwürfigen inhärent ist. Die Antwort des Schafes sagt viel über sein Wesen aus: Es schiebt seinen Ausbruch auf die Vergnügen, die es benebeln und bremsen.
Das Schaf ist ein begeisterter Vertreter des Konsumismus. In einem zwischen Shopping und Kinobesuch oszillierenden Tagesablauf wird Kritik so kleingeschrieben, das sie kaum noch lesbar ist.
Weiterhin bezieht es sich auf zwei griechische Sagengestalten. Die Gedanken hinter Camus Werk “Der Mythos von Sisyphos” versteht es nur unvollständig. Zwar stellt dieser die These auf, dass Sisyphos der glücklichste Mensch gewesen sei, allerdings ist die Lebensführung des Schafes der Gedankenführung Camus entgegengesetzt. Das Schaf ist ein Selbstmörder, denn es ist entreißt sich selbst der Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens. Allerdings zieht es nicht mit dem Camus'schen Selbstmörder gleich, indem es sich aus der Absurdität (Dem Widerspruch von Streben nach dem Telos und Fehlen desselben) heraus umbringt, sondern stirbt, lebt also ein unbewusstes Leben, aufgrund selbst verschuldeter Unmündigkeit und fehlendem Willen
Die Deutung des Prometheus ist klar. Prometheus ist als Rebell gegen seinen Vater der Antityp eines gesitteten Bürgers im Auge des Schafes. Goethes Gedicht begrüßt es als tradiertes Kulturgut, eine Anwendung oder Deutung des Inhaltes kommt ihm nicht in den Sinn.
Aus dem zweiten Schaf spricht die Gruppe, die das schwarze Schaf schluckt. Nocheinmal wird die Täuschung durch Wochenende, Konsum und den Nationalitätsgedanke deutlich.
Das Schaf setzt die positiven Dinge seines Lebens mit dem Herrschaftsystem in Beziehung und stellt sie von ihnen als abhängig dar.
Diese beiden Gruppen bestätigen als ein Komplex den aristotelischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten in wörtlicher wie sächlicher Bedeutung. Der Mensch ist von den anderen beiden Gruppen getrennt und zwischen den Extrempolen der Gesellschaft bleibt kein Platz für eine dritte Macht.
Der Auftritt der Menschen durchbricht jenes eingefahrene Konstrukt von Schaf und Wolf. Sie bilden sich durch Werke der Aufklärung bzw. Klassisches (“Reclamhefte”), kontrastieren das schwarz-weiß der ursprünglichen Gruppen mit eigensinnigen, auffälligen Farben. Dies alles lässt auf den aufgeklärten Individualisten schließen, der in seiner Individuation aufgeht und sein eigenes Selbst finden und verteidigen will. Der Mensch widersteht dem Wolfsein und und macht es Platon gleich, indem er die Dekadenz seiner Umwelt wahrnimmt und dennoch nicht den einfachen Weg im System geht. Die Botschaft der Menschen gleicht den Erkenntnissen moderner und aufgeklärter Philosophen, Utopisten oder Revolutionäre. Ihre Botschaft geht vom friedlichen und gleichberechtigten Zusammenleben von Individuen aus. Die Gegensätze der ausbeutenden und der ausgebeuteten Klasse werden aufgehoben, die Menschen sind in ihrer Einzigartigkeit den alten Vorstellungen entgegengesetzt. Um dieses Ziel zu verdeutlichen, verwenden sie das Kant-Zitat “Sapere aude”, zu deutsch “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen” und eröffnen so den Weg des kritischen Reflektierens. Weiterhin geben sie nun den den Hinweis, die Schafe sollten aus ihrer vorgegeben Rolle ausbrechen und ebenso sollten die Wölfe die “höhere Autorität abstreifen”. Die Menschen verstehen also sowohl Schafe als auch Wölfe als gelenkte Teile des Systems, die unmündig sind. In der Mündigkeit würden sie alle zum Menschen werden. Obwohl die Gruppe der Menschgewordenen mit sehr geringem Redeanteil auftritt ist, fällt ihr ausgefallenes Äußeres ins Auge. Es drückt symbolisch die Kraft des Anders-Seins aus, die die Menschen auszeichnet, und verneint gleichzeitig sich selbst, da dem Andersseins keine starre Form zu geschrieben werden darf, determiniert durch die Semantik des Wortes “anders”. Ihre Worte sind weise, aber wirkungslos, denn Schafe und Wölfe bleiben, sich ihrer eigenen Unzufriedenheit nur zum kleinen Teil bewusst, lieber in ihrer Welt gefangen und behalten lieber den status quo bei, als sich kritisch auseinanderzusetzen. Es scheint so, als gebe es eine Art unsichtbaren Grad, an dem der Großteil der Menschen aufhört, zu denken und einfach folgt. Selbst wenn der ein oder andere den Versuch wagt, bleibt es bei einem strikten, einspurigen Weg der meistens nicht in die eigene Eudaimonie führt. Die Wölfe antworten mit den Argumenten der Oberschicht, die schon zu allen Zeiten Kritik abgewürgt und verteufelt hat.
Schlussendlich macht das Schaf auf den eigenen Zwiespalt aufmerksam, bleibt aber untätig. Hiermit soll nicht ausgesagt werden, dass nie ein Schaf oder Wolf zum Menschen wird, sondern dass die Großteile beider Gruppen in ihrer Symbiose lebt und nie ausbricht. Der finale Akt des Verprügelns verdeutlicht nocheinmal die Gewalt am selbstdenkenden, kritischen, individuellen Menschen.
Der Name der Parabel lässt sich vielfältig deuten. Zum einen ist der Ausreißer und Andersartige im Märchen, das hässliche Entlein, und seine Probleme innerhalb seiner Umwelt ein märchentypisch sehr eindeutiges Bild, allerdings gibt es ihn wirklich, das einzigartige Individuum, das Aschenputtel. Die Existenz des Menschen wirkt oft wie ein Märchen, dessen Wahrheitsgehalt dennoch nicht abzusprechen ist.
Die Klassengesellschaft funktioniert gut. Sie funktioniert auch heute noch ausgezeichnet, obwohl sie sich stark verändert hat und sich gut tarnt. So ist diese Parabel zwar ein Loblied auf die linke Idee, aber dennoch viel mehr. Der Ausbruch aus der Unmündigkeit und die selbstständige Bildung (der Mensch liest selber und wird nicht belehrt) sind Lösungsansätze, die alt sind, aber in der aktuellen Diskussion oft vergessen werden.
Schulischer Ansatz
Der Ort der Vorführung ist gleichzeitig der Ursprungsort der Gedanken zu diesem Stück und insofern ist der schulische Aspekt der Inszenierung von äußerster Wichtigkeit.
Die erste Deutung des Stoffes erkennt die Schafe als Schüler und die Wölfe als Lehrer. So repräsentiert ihr Zusammenwirken die konventionelle Schule. Das Weiß der Schafe und das Schwarz der Wölfe zeigt die Distanz zwischen Lehrer und Schüler auf. Die Geste des Auspeitschens symbolisiert den Drill innerhalb der Schule.
Die Schafe murren über ihr Arbeitspensum, brechen aber nicht aus und weisen sich gegenseitig zurecht. Der Lehrer droht dem Schüler mit dem Abkommen vom vorgeschrieben Weg, das heißt dem schlichten Ausführen der von den Eltern als besten Lebensweg erachteten Aufgabenansammlung. Der Schüler ist nicht über die Vielfalt der Möglichkeiten aufgeklärt, die durch den Staat sowieso schon arg begrenzt ist (siehe Schulpflicht). Die Gruppendynamik in der Schafherde sorgt, dafür, dass man, der Schulklasse ähnlich, in den gegenwärtigen Verhältnisse verharrt. Das Einfrieren von kreativem und kritischem Potenzial ist dem System inhärent. In Schulklassen ist eine latente Unzufriedenheit mit der Schule, ihren Methoden und ihrem Pensum selbstverständlich, aber weitergehende Kritik gibt es kaum. Die beherrschten Schafe akzeptieren ihre Unterdrückung und zählen die Vorzüge auf. Schüler arrangieren sich mit der Schule, solange Wochenenden (Vgl. “Tage in der Woche, die völlig frei von Arbeit sind”) vorhanden sind und sind Vertreter des Konsumismus, vgl. Gesellschaftlicher Ansatz.
Die Beziehung zwischen Schaf und Wolf ist einseitig, sie besteht aus Unterdrückung und Beherrschen. Ein produktiver Austausch zwischen beiden Gruppen findet nicht statt. Die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern ist ähnlich einseitig, soll doch der Schüler lernen und der Lehrer lehren. Da die Schafe in ihrer Gruppendynamik den Andersdenkenden ausstoßen, sind kreative Köpfe von außen nötig, um eingefahrene Systeme neu zu denken. Der Lehrer und der Schüler, gleichsam Schaf und Wolf, stellen sich gemeinsam gegen den Andersdenkenden, den stetig kritisierenden und nimmermüden Problemschüler.
Unsere Forderung deshalb: Austauschmöglichkeiten bieten, Diskurs herstellen um die Probleme und Verbesserungsvorschläge innerhalb der Schule zu diskutieren und den Schüler zu integrieren, der andernfalls als Schulverweigerer in der Psychatrie landet.
Eine Möglichkeit wäre es, ein Unterrichtsfach reinweg für die Äußerung der eigenen Meinung einzuführen. Da Meinungsbildung sowieso Kernelement der Schule ist, wäre dies eine sinnvolle Fortführung. Weitergehend sollen aus gewonnenen Erkenntnissen pragmatische Ergebnisse folgen. Schüler sollen, da sie selbst die besten Probiersteine für Funktionalität der Schule sind, selbst Konzepte für die Verbesserung oder Umgestaltung der Schule vorlegen. Die Starrheit einer so wichtigen Instanz ist in einer modernen, sich selbst stetig revolutionierenden Gesellschaft ist nicht zu akzeptieren.
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