Wir verdanken ihnen unser Erbgut, unsere Sprache, und großen Teils unseres Mythos, unserer Erzählungen.
Dabei will ich nicht von Vererbung sprechen, das ist zu passiv, unsere Vorfahren sind auch im Hier und Jetzt anwesend und aktiv in unserer Weltgestaltung. Es wird von ihnen eingestreut, was passt in einem Grundbestreben nach Harmonie passt. Wie das Ganze aussieht und zum Beispiel im eigenen Stammbaum lesbar wird, will ich in meinem Buch: “Meine Vorfahren, oder: wo Goethe wirklich herkommt” weiter exemplarisch beleuchten.
Durch moderne Forschung kommen wir ihnen auf einmal viel näher. Wissen um Grundzusammenhänge, die manche ob etwa linguistischer Forschung “erahnt” haben. Wir wissen nun ein Großteil der Männer des westlichen und des mittleren Eurasiens von nur zwei Männern abstammen, die zwei Urväter, der eine des westlichen Europas. in der Genetik mit dem Kürzel R1b bezeichnet, der andere des östlichen Europas und Zentralasiens, R1a. Vor diesem Hintergrund ist der Mythos, den wir über Jahrtausende hinweg direkt von diesen Menschen übertragen bekommen haben, neu les- und interpretierbar - eine Einladung zu schreiben und seine Fantasie vom mythologischen wie vom streng wissenschaftlichen in einem Blüten schlagenden Crossover aufgehen zu sehen.
Diese Urväter einfangen mit den Mitteln der Kunst - ihnen Statuen widmen, in Gemälden verewigen, sie NFTisieren, heute haben wir eine Plethora von Möglichkeiten uns mit unserem “Blut” zu beschäftigen.
Und dann ist dies vielleicht auch nur ein erster Schritt um eine mächtige Wende einzuleiten und auf einmal nicht mehr nur vom Vorfahren, sondern auch vom Nachfahren zu sprechen, all den Nichtirdischen, deren Interessen wir zu wenig Platz geben. Was können wir ihnen geben, was können wir von ihnen zurückerhalten? Hier kommt der Resurrektionismus ins Spiel, der die Wiederbelebung, die nach den klassischen Religionen ein reines Gotteswerk bleibt, dem Menschen als Aufgabe auferlegt.
Nietzsche über unsere Vorfahren:
Es ist eine Krankheit, das schlechte Gewissen, das unterliegt keinem Zweifel, aber eine Krankheit, wie die Schwangerschaft eine Krankheit ist. Suchen wir die Bedingungen auf, unter denen diese Krankheit auf ihren furchtbarsten und sublimsten Gipfel gekommen ist: - wir werden sehn, was damit eigentlich erst seinen Eintritt in die Welt gemacht hat. Dazu aber bedarf es eines langen Atems, - und zunächst müssen wir noch einmal zu einem früheren Gesichtspunkte zurück. Das privatrechtliche Verhältnis des Schuldners zu seinem Gläubiger, von dem des längeren schon die Rede war, ist noch einmal, und zwar in einer historisch überaus merkwürdigen und bedenklichen Weise in ein Verhältnis hinein interpretiert worden, worin es uns modernen Menschen vielleicht am unverständlichsten ist: nämlich in das Verhältnis der Gegenwärtigen zu ihren Vorfahren. Innerhalb der ursprünglichen Geschlechtsgenossenschaft wir reden von Urzeiten - erkennt jedes Mal die lebende Generation gegen die frühere und in Sonderheit gegen die früheste, geschlecht-begründende eine juristische Verpflichtung an (und keineswegs eine bloße Gefühls-Verbindlichkeit: man dürfte diese letztere sogar nicht ohne Grund für die längste Dauer des menschlichen Geschlechts überhaupt in Abrede stellen). Hier herrscht die Überzeugung, dass das Geschlecht durchaus nur durch die Opfer und Leistungen der Vorfahren besteht, - und dass man ihnen diese durch Opfer und Leistungen zurückzuzahlen hat: man erkennt somit eine Schuld an, die dadurch noch beständig anwächst, dass diese Ahnen in ihrer Fortexistenz als mächtige Geister nicht aufhören, dem Geschlechte neue Vorteile und Vorschüsse seitens ihrer Kraft zu gewähren. Umsonst etwa? Aber es gibt kein »Umsonst« für jene rohen und »seelenarmen« Zeitalter. Was kann man ihnen zurückgeben? Opfer (anfänglich zur Nahrung, im gröblichsten Verstande), Feste, Kapellen, Ehrenbezeigungen, vor Allem Gehorsam, denn alle Bräuche sind, als Werke der Vorfahren, auch deren Satzungen und Befehle - : gibt man ihnen je genug? Dieser Verdacht bleibt übrig und wächst: von Zeit zu Zeit erzwingt er eine große Ablösung in Bausch und Bogen, irgend etwas Ungeheures von Gegenzahlung an den »Gläubiger« (das berüchtigte Erstlingsopfer zum Beispiel, Blut, Menschenblut in jedem Falle). Die Furcht vor dem Ahnherrn und seiner Macht, das Bewusstsein von Schulden gegen ihn nimmt nach dieser Art von Logik notwendig genau in dem Maße zu, in dem die Macht des Geschlechts selbst zunimmt, in dem das Geschlecht selbst immer siegreicher, unabhängiger, geehrter, gefürchteter dasteht. Nicht etwa umgekehrt! Jeder Schritt zur Verkümmerung des Geschlechts, alle elenden Zufälle, alle Anzeichen von Entartung, von heraufkommender Auflösung vermindern vielmehr immer auch die Furcht vor dem Geiste seines Begründers und geben eine immer geringere Vorstellung von seiner Klugheit, Vorsorglichkeit und Macht-Gegenwart. Denkt man sich diese rohe Art Logik bis an ihr Ende gelangt: so müssen schließlich die Ahnherrn der mächtigsten Geschlechter durch die Phantasie der wachsenden Furcht selbst ins Ungeheure gewachsen und in das Dunkel einer göttlichen Unheimlichkeit und Unvorstellbarkeit zurückgeschoben worden sein: - der Ahnherr wird zuletzt notwendig in einen Gott transfiguriert. Vielleicht ist hier selbst der Ursprung der Götter, ein Ursprung also aus der Furcht! . . . Und wem es nötig scheinen sollte hinzuzufügen: »aber auch aus der Pietät!« dürfte schwerlich damit für jene längste Zeit des Menschengeschlechts Recht behalten, für seine Urzeit. Um so mehr freilich für die mittlere Zeit, in der die vornehmen Geschlechter sich herausbilden: - als welche in der Tat ihren Urhebern, den Ahnherren (Heroen, Göttern) alle die Eigenschaften mit Zins zurückgegeben haben, die inzwischen in ihnen selbst offenbar geworden sind, die vornehmen Eigenschaften. Wir werden auf die Veradligung und Veredelung der Götter (die freilich durchaus nicht deren »Heiligung« ist) später noch einen Blick werfen: führen wir jetzt nur den Gang dieser ganzen Schuldbewusstseins-Entwicklung vorläufig zu Ende.